Wer seinen eigenen kleinen Heimatort außerhalb der heimatlichen Region vorstellen möchte, bedient sich gerne eines Hinweises auf eine Sehenswürdigkeit des Ortes oder eines hochmodernen Industrieproduktes aus dem Ort oder man nennt eine herausragende Persönlichkeit desselben. Oft fällt dann der besagte „Groschen“. So ergeht es z. B. den Mettingern, wenn sie den Stammsitz der Firma C&A Brenninkmeyer erwähnen oder den Ibbenbürenern mit der am nördlichsten gelegenen Zeche in Deutschland (letzte Kohleförderung im August 2018). Nicht anders ergeht es auch den Menschen des kleinen Dörfchens Halverde. Halverde? „Den Namen habe ich nie gehört, den Ort kenn` ich nicht“. Es bleibt ein Achselzucken beim Gegenüber. Fällt dann aber der Name Schwester Euthymia, macht`s oftmals „klick“: „Ach so, natürlich, kenn` ich doch“. So erfreut sich das kleine Halverde, ansonsten mit Sehenswürdigkeiten o. Ä. gerade nicht reichlich ausgestattet, mit Schwester Euthymia eines außergewöhnlichen Alleinstellungsmerkmals. Selbstbewusst und mit ein wenig Stolz heißt es dann: „Sie stammt aus unserem kleinen Dorf. Sie ist eine von uns“.
Die Familie
Wer aber war die Frau, die am 8. April 1914 als Emma Üffing in Halverde (im Altkreis Tecklenburg, heute Kreis Steinfurt) geboren wurde. Die Üffings waren wie fast alle Bewohner in Halverde Bauersleute. Der Ertrag vom etwa 40 Morgen großen Hof, dazu der Lohn für den Transport der Milch von den Bauernhöfen zur Molkerei, reichten gerade, die große Familie zu ernähren. Zur Familie gehörte der Vater August Üffing mit drei Kindern aus der ersten Ehe. Die Ehefrau Maria Theresia geborene Kortsmeyer war 1908 an Tuberkulose verstorben. Im gleichen Jahr heiratete er Frau Maria Theresia Schnitt. Aus dieser Ehe gingen insgesamt sieben Kinder hervor. Als fünftes dieser Kinder wurde Maria Emma geboren. Emma, wie sie nur genannt wurde, war kein kräftiges Baby. Dies erklärt womöglich auch die vorgezogene Taufe gleich an ihrem Geburtstag. Als das kleine Mädchen nicht mal ein halbes Jahr alt war, nahmen ab August 1914 die kriegerischen Auseinandersetzungen mit dem 1. Weltkrieg ihren Lauf. Die Zivilbevölkerung hatte arg unter den Folgen zu leiden. Nahrungsmittel wurden knapp und viele Menschen, insbesondere in den Städten, hungerten. Die hiesige Bevölkerung jedoch blieb von der eingeschränkten Lebensmittelversorgung verschont, waren doch die Bauern Selbstversorger. Besorgt war man eher wegen der fehlenden männlichen Arbeitskräfte auf den Höfen. Die Ehemänner und Söhne waren im Kriegseinsatz und fehlten zu Hause. Daher mussten daheim alle Familienangehörigen mitarbeiten; die Frauen sowieso, auch die Kinder.
Als Kind
Das Mädchen Emma war von jeher klein und zierlich und nicht von robuster Natur. Im Alter von 18 Monaten erkrankte sie an Rachitis. Diese Vitaminmangelerkrankung führte zur krankhaften Verkalkung der Knochen. Als Folge blieb das Kind insgesamt schwächlich und hatte unter eingeschränkten Bewegungsabläufen zu leiden. Spielen und Toben mit Geschwistern und Schulfreundinnen waren ihr nicht vergönnt. Zudem hing ihr linkes Augenlid leicht herunter. Als Erwachsene erreichte sie eine Körpergröße von nur 1,56 Meter. Das hinderte sie aber nicht daran, nach Kräften bei der Hausarbeit mitzuarbeiten. Die Geschwister hatten schnell erkannt, dass sie viele ihnen übertragene Aufgaben auf Emmas Schultern abladen konnten. Emma hatte immer sichtlich Freude daran, anderen einen Gefallen zu tun. In der Schule war sie eine der Besten, ihr ward aber nichts geschenkt. Für die durchweg guten Noten musste sie sich über Gebühr anstrengen. Anders als die anderen Kinder war sie bei allem still, bescheiden und fromm, weswegen die anderen sie „Üffings Nönneken“ nannten. Durch ihre religiöse Familie, durch die Verwandtschaft und Nachbarschaft, die allesamt katholisch waren, wurde sie von Kind auf christlich geprägt
Als Jugendliche
Mit 14 Jahren hatte Emma Üffing die Volksschule absolviert. Schon jetzt äußerte sie den Wunsch, in einen Orden eintreten zu dürfen. Anders als ihre Altersgenossinnen, die als junge Mädchen in anderen bäuerlichen Betrieben „in Stellung“ gingen, blieb Emma Üffing zu Hause. Hier wurde sie gebraucht, hier war ihre Arbeitskraft gefragt. Soweit sie körperlich dazu in der Lage war, verrichtete sie sämtliche Arbeiten im Stall, in der Küche und auf dem Feld. Der obligatorische tägliche Kirchgang und des Abends die Lektüre der im Haus vorrätigen religiösen Schriften waren Ausdruck ihrer tiefen Religiosität und christlichen Demut. Sie entwickelte sich zu einer inbrünstigen Katholikin.
Nach drei Jahren harter Arbeit auf dem elterlichen Hof begann sie im November des Jahres 1931 eine Hauswirtschaftslehre im Krankenhaus Hopsten. Nach einem Jahr musste sie wegen schwerer Erkrankung des Vaters ins Elternhaus zurück. Bei allen auf dem Hof anfallenden Arbeiten war hier ihre Hilfe gefragt. Im Dezember 1932 starb der Vater. Im Anschluss nahm die inzwischen 18-Jährige ihre Ausbildung in Hopsten wieder auf und beendete sie erfolgreich. Gerne wäre sie in Hopsten geblieben, musste aber 1933 wieder zurück nach Hause, weil dort ihre Mutter erneut dringend ihre Unterstützung benötigte.
Das Ordensleben
Nach wie vor ungebrochen war der schon als Kind geäußerte Wunsch, in einen Orden einzutreten und ihr eigenes Leben auf Gott auszurichten. Sie wollte in einen solchen Orden eintreten, dessen Gemeinschaft sich der Sorge und Pflege von Kranken widmet. Sie bewarb sich bei den Clemensschwestern in Münster. Nach ersten anfänglichen gesundheitlichen Bedenken durfte sie am 23.07.1934 in den Orden eintreten. Ihr Elternhaus in Halverde wird sie zeitlebens nicht mehr betreten. Bei den Einkleidungsfeierlichkeiten, zu Beginn des Noviziates, erhielt sie den von ihr gewünschten neuen Namen Euthymia. Ihr erstes zeitliches Gelübde der Jungfräulichkeit, des Gehorsams und der Armut legte sie am 11.10.1936 ab. Die Ordensfrauen gelten ab nun als Gott geweiht und in besonderer Weise als Braut Christi.
Nach einer Zusatzausbildung als Desinfektorin wurde sie ins St.-Vinzenz-Hospital nach Dinslaken versetzt. Hier war sie in der allgemeinen Krankenpflege tätig, wobei die Kranken auf der Isolierstation besonderer Pflege bedurften. Es waren Patienten unterschiedlichster Nationen, die durch die Kriegswirren in die sog. Holzbaracke von Dinslaken gespült wurden. Die aufwändige Pflege dieser Kranken erforderte von Schwester Euthymia große physische wie auch pschychische Anstrengungen. Sie ging dabei oft an ihre körperlichen Grenzen. Immer war sie darauf bedacht, eigene Ansprüche zurückzustellen, aber anderen eine Freude zu machen und anderen bedingungslos zu helfen. Am 15.09.1940 legte sie in Münster das Ewige Gelübde ab.
Das Krankenhaus erhielt gegen Ende des Krieges bei einem Bombenangriff schwereTreffer. Alles mußte provisorisch hergerichtet und neu organisiert werden. In diesem Zusammenhang leitete Schwester Euthymia nun die Wäscherei. Darüber war sie nicht glücklich, fehlte ihr doch nun der liebgewonnene persönliche Kontakt mit und die unmittelbare Versorgung von Patienten. Da, wo Verdruss verständlich gewesen wäre, verkehrte sie alles in von Gott gewollt. So lag es ihr völlig fern, zu klagen oder gar zu widersprechen, wenn sie versetzt oder anderweitig verwandt wurde. Sie fügte sich der Entscheidung der Ordensleitung. Von Patienten wurde sie „Engel der Liebe“ oder „Engel der Baracke“ genannt. Im Januar 1948 erfolgte ihre Versetzung ins Mutterhaus nach Münster. Auch hier übernahm sie die Leitung der Wäscherei. Die schwere körperliche Arbeit über mehrere Jahre forderte ihren Tribut. Wiederholt erlitt sie Schwächeanfälle. Am 08.07.1955 stellte man bei ihr Darm-, Leber- und Magenkrebs fest. Am 09.09.1955 starb Schwester Euthymia im Alter von 41 Jahren.
Ihre Verehrung
Verbrieft sind die Anmerkungen von der Männerstation her: „De Schwester, de vandage stuorben is, dat was ne Hillige“. Am 12.09.1955 wird Schwester Euthymia auf dem Gräberfeld der Clemensschwestern auf dem Zentralfriedhof beerdigt. Am Tag nach ihrem Tod ereignete sich etwas, das im späteren Seligsprechungsverfahren als Wunder anerkannt wurde: Eine Schwester, deren Hand zwischen die Walzen einer Heißmangel gekommen war und die dadurch schwerste Verbrennungen und Quetschungen erlitt und deren Hand amputiert werden sollte, bat am offenen Sarg von Schwester Maria Euthymia um ihre Fürsprache. Innerhalb kürzester Zeit und für die behandelnden Mediziner völlig unerklärlich, heilte die Hand der Schwester. Von Stund` an setzte die Verehrung der Verstorbenen ein. Dies vor allem an den örtlichen Bezugspunkten der Verstorbenen. Es betraf ihren Heimatort Halverde sowie Münster als Sitz des Ordens und Dinslaken als ihre hauptsächliche Wirkungsstätte. Mit einer ständig steigenden Zahl von Verehrern entwickelte sich ihr Grab auf dem Friedhof zur Pilgerstätte. Im Frühjahr 1957 leiteten die Ordensoberen die ersten Schritte zum langwierigen Seligsprechungsprozess ein.
Das über einen Zeitraum von 44 Jahren andauernde Verfahren war schließlich und endlich erfolgreich. Am 7. Oktober 2001 wurde Schwester Euthymia unter großer Teilnahme der Halverder Bevölkerung in Rom von Papst Johannes Paul II. selig gesprochen.
Das Gedenken heute
Schwester Euthymias Grabstätte auf dem Zentralfriedhof in Münster hat sich zu einem Wallfahrtsort entwickelt – dies schon, bevor die Verstorbene seliggesprochen worden war. Die Menschen, die hier beten, suchen Trost und Heilung in einer Krankheit oder im persönlichen Leid. Die inzwischen vergrößerte und überdachte Grabstätte am Hauptweg empfängt die Gäste durchweg mit frischen Blumensträußen und bunten Gestecken. An vielen baumeln persönliche Bittbriefe und Dankesschreiben. Die in der Mitte platzierte graue Grabplatte mit ihrem Namen ist umstellt mit einem Meer von Kerzen und roten Leuchten. „Liebe Schwester Euthymia, bitte hilf“, so oder ähnlich lauten die vielen Bitten auf bunten Herzen und schlichten Täfelchen.
Das Euthymia-Zentrum am Mutterhaus der Clemensschwestern in der Loerstraße in Münster bietet in einer Ausstellung detaillierte Informationen über das Leben und Wirken der Schwester Euthymia an.
Am St.-Vinzenz-Hospital in Dinslaken lädt eine künstlerisch gestaltete Gedenkstätte zum Verweilen ein.
In Halverde sind es mehrere Stellen, die an Schwester Maria Euthymia erinnern. Zum einen befindet sich zur Erinnerung und Verehrung in der linken Nische des ehemaligen Seiteneinganges der Kirche ein großes Portrait mit einer Reliquie. Es wurde vom Künstler Leonard Klosa (Varrelbusch) geschaffen. Der Altar in der Halverder Pfarrkirche St. Peter und Paul ist am 10. Oktober 2004 ebenfalls mit einer Reliquie ausgestattet worden. Nach der Seligsprechung hat die Pfarrgemeinde einen Euthymia-Tag kreiert. Dieser wird viermal im Jahr begangen. Jeweils morgens beginnt man mit dem Festhochamt, und am Nachmittag folgt eine Prozession über den neu geschaffenen „Schwester-Maria-Euthymia-Gedenkweg“. Den Abschluss bildet eine Andacht in der Kirche. Den Gedenkweg markieren mehrere Stationen, die zum Gebet und Gedenken einladen. Sie zeigen die prägenden Lebensabschnitte der Schwester Euthymia und sie machen sichtbar, wie Euthymia ihre Gläubigkeit und Gottesfurcht lebte. Die gut 700 m lange, ausgeschilderte Wegstrecke beginnt am Elternhaus von Schwester Euthymia, an der Landstraße Halverde/Schale. Hier erinnert im Vorgarten des Anwesens eine erste Station mit einem Kreuz und einem Gedenkstein an die hier Geborene. Hier hatte sie gelebt, bis sie im Alter von 20 Jahren in den Orden eintrat. Der Weg führt von dort dorfwärts über den Fuß-/Radweg, um gleich nach rechts zwischen den Häusern Otte und Lammers, hin zur 2. Station zu gelangen. Es folgt ein breiter, befestigter Weg bis zum Anwesen Ahrens mit der 3. Station. Den Hinweiszeichen folgend passiert man die Aabrücke, um sogleich nach links in ein Wäldchen abzubiegen. In der Mitte und am Ausgang dieses Buchenwäldchens (Meyers Busch) warten Station vier und fünf auf die Besucher, ehe man dann direkt die Kirche erreicht. Der Weg wurde im Frühjahr 2002 während einer feierlichen Prozession mit rund 300 Gläubigen durch Professor Dr. Hugo Goeke, einen gebürtigen Halverder Priester, eingeweiht. Dieser hat sich mit seinem Buch „Euthymia – Schwester der Menschen“ über das Wirken und die Wirkung dieser außergewöhnlichen Frau, mit dem Blick heutiger Christen, kenntnisreich und liebevoll auseinandergesetzt. Dass das Leben von Schwester Euthymia weiterhin viele gläubige Christen fasziniert, zeigt der Besuch vieler auswärtiger Pilgerinnen und Pilger. Die große Zahl der Halverder Bürgerinnen und Bürger, die sich 2001 anlässlich der Seligsprechungsfeierlichkeiten per Flugzeug oder per Bus nach Rom auf den Weg machten, das ehrliche Engagement bei der Planung und Anlegung des Gedenkweges und die rege Teilnahme an den Euthymia-Tagen zeugen von einer intensiven Identität der Halverder Menschen mit „ihrer” Schwester Euthymia.
Die politische Gemeinde gedenkt ihrer mit einer Wohnstraße mit dem Namen „Maria-Euthymia-Weg“.
Die Halverder sind stolz: „Sie ist eine von uns“.
Persönliche Quellen:
Das durch das eigene Elternhaus (Nachbarschaft zur Familie von Emma Üffing) und durch Kirche und Schule vermitteltes Wissen des Autors um Schwester Euthymia, ist Basis dieser Zusammenfassung. Hilfreich waren insbesondere die Erinnerungen und Auffrischungen mit Nachbarn, Verwandten und Zeitzeugen.
Fachliche Quellen:
P. Wendelin Meyer O.F.M. Schwester Maria Euthymia, 3. Auflage, 1958,
Johannes Loy, Stefanie Meier und Elke Seul, Schwester Euthymia „Alles für den Großen Gott“, 2000
Hugo Goeke, „Euthymia – Schwester der Menschen“, 1. Auflage 2008
Aus dem Jahrbuch für den Kreis Steinfurt 2014
Autor und Fotos: Josef Brinker
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