Wandergeselle Franz Runge

Tischler Franz Runge im Jahr 1957 als Wandergeselle unterwegs
Früher war sie obligatorisch oder gar Pflicht, die Wanderschaft von Handwerksgesellen. Dagegen wirkt heute ein wandernder Handwerksgeselle in der Öffentlichkeit eher als absolute Besonderheit oder gar als eigenartiger Exot. Man sah sie an den Ausfallstraßen, um Mitfahrgelegenheit winkend oder freundlich durch Dörfer und Städte schlendernd. Mit ihrer unverwechselbaren, traditionsreichen Zunftkleidung fielen sie weithin sichtbar auf. In erster Linie wurde die Zunftkleidung von traditionsreichen Handwerksberufen getragen. Dazu zählten unter anderem: Dachdecker, Zimmermänner, Maurer, Steinmetze, Tischler und Schornsteinfeger. Heute trifft man sie nur noch recht selten in der Öffentlichkeit an. Zur Hochzeit der Wanderungen, etwa Beginn des 20. Jahrhunderts, machten sich viele nach dem Abschluss ihrer Lehrzeit (auch Freisprechung), für etwa drei Jahre auf den Weg. Man nannte es dann auf Wanderschaft gehen oder auf die Walz oder Tippelei. Der Wanderordnung entsprechend durften sie sich während der Zeit nicht näher als 50 Kilometer zum Heimatort entfernt aufhalten. Franz Runge, damals frischer Tischlergeselle beim Tischler Bernhard Lammers in Halverde, machte sich im Jahr 1957 von Halverde zu Fuß auf den Weg zu einer Wanderschaft durch Deutschland, die Schweiz, Österreich bis nach Rom in Italien. In seinem Wanderbuch hat er detailliert seinen Fußweg bis nach Lindau am Bodensee aufgeschrieben. Vom Bodensee aus machte er sich auf den Weg nach Rom. Diesen legte er aber mit einem anderen Wandergesellen mit dessen Roller als Sozius fort. In seinem Tagebuch hat er seine Tageseindrücke und Erlebnisse aufgeschrieben.


Das Elternhaus von Franz Runge auf dem Langenacker

Wanderschaft hat lange Tradition

Wanderschaften von Gesellen gab es schon im Spätmittelalter. Überall auf Europas Straßen traf man die wandernden Handwerksgesellen. Wer damals in seinem Beruf die Meisterqualifikation anstrebte, für den war eine Wan­der­schaft in vie­len Zün­ften unumgänglich. Die jungen Gesellen sollten neue Arbeitspraktiken, ebenso fremde Orte, Regionen und andere Länder kennenlernen. Eine tolle Möglichkeit zusätzliche Lebenserfahrung zu sammeln. In der Weimarer Republik brauchte man den sogenannten „große Befähigungsnachweis“ (heutiger Meisterbrief), für die Ausübung eines Handwerks. Nach dem Zweiten Weltkrieg aber wurde in der amerikanischen Besatzungszone eine fast schrankenlose Gewerbefreiheit eingeführt. Die Mitgliedschaft in den Kammern und Innungen wurde nun zur freiwilligen Angelegenheit. Es genügte praktisch eine Postkarte, um ein Gewerbe anzumelden; auch der Meisterzwang entfiel. Insbesondere wegen der Gefahrengeneigtheit bei der Berufsausübung und den zwischenzeitlich gestiegenen hohen Anforderungen an den Verbraucherschutz, drängten die Kammern auf eine fundierte Berufsausbildung. Die zuvor praktizierten Großzügigkeiten wurden im Jahr 1953 mit der Verabschiedung der Handwerksordnung wieder eingeschränkt. Für 94 handwerkliche Berufe wurde abermals bundesweit die Meisterpflicht eingeführt. Im Jahr 2019 wurden für wieder zwölf zuvor zulassungsfreie Berufe die Meisterpflicht eingeführt. Obwohl die Wanderzeit nicht mehr für den Meistertitel erforderlich war, hat es reisende Handw­erk­er in all den Jahren gegeben. Ihre Zahl schwank­te im 20. Jahrhun­derts stark. Auch während der Weltkriege und der Hitler-Diktatur ging die Zahl zurück, da viele junge Män­ner zum Mil­itär einge­zo­gen wur­den.

Franz Runge kurz vor Beginn der Wanderschaft, gestützt auf seinen Wanderstab

Von seinem Meister infiziert worden

Franz Runge, im Jahr 1936 in Halverde geboren, hatte bis Ostern 1954 die Volksschule in Halverde besucht. Daran anschließend ging er in die Tischlerlehre bei seinem Onkel Bernhard Lammers. Hier erlernte er alle für die hiesige bäuerliche Region anfallenden Schreinerarbeiten von der Pike auf. Zur Berufsschule fuhr er nach Ibbenbüren. Er hatte ein sehr gutes Arbeitsverhältnis mit seinem Lehrherrn, der gleichzeitig sein Onkel war. Interessiert und wissbegierig wurde er immer dann, wenn sein Lehrmeister auf seine eigene Wanderung in Jahr 1925 zu sprechen kam. Langsam wurde aus einer anfänglichen Neugierde, ein noch zart formulierter Wunsch und schließlich und endlich die konkrete Planung zu einer Wanderschaft, wenn die Lehre zuende war. Er war infiziert und hatte „Feuer gefangen“. Jetzt musste er nur noch seine Eltern von seinem Vorhaben überzeugen. Seine Eltern, Vater Franz Runge und Ehefrau Lina, geb. Lammers, wohnten auf dem Langenacker, heute Wiesengrund. Die vielköpfige Familie lebte in ihrem Heuerhaus recht beengt. Hatten doch seine Eltern insgesamt 14 Kinder zu versorgen. Franz war der Mittlere von drei Brüdern, die sich elf Mädchen gegenüber sahen. In den ersten Gesprächen mit seinem Vater über sein Vorhaben, schien dieser zunächst leicht erschrocken, dann aber mehr und mehr zustimmend. Schließlich habe er Wohlwollen gezeigt und seinem Sohn in seinem Entschluss bestärkt und ihm Mut zugesprochen. „Wenn Du das willst, musst du das machen“. Seine Mutter dagegen reagierte mit typischer mütterlicher Sorge ob der Ungewissheiten auf dem langen Weg ihres Jungen. Schließlich gab auch sie ihm ihren Segen.

Beginn der Wanderschaft 1957
Franz Runge`s Absicht sprach sich im Freundeskreis herum. Er fand im Anstreichergesellen Manfred Pohl aus Halverde einen ebenso interessierten Partner. Gemeinsam planten sie die Unternehmung. Sie wollten die Strecke von Halverde bis zum Bodensee zu Fuß zurücklegen. Die Übernachtungen planten sie in den Unterkünften der Gesellenvereine oder in Kolpinghäusern. Diese gab es früher fast in jeder etwas größeren Stadt. Mit jeweils 80 Deutsche Mark in der Tasche machten sich beide auf den Weg, nicht ohne sich vorher um eine freiwillige Krankenversicherung bemüht zu haben.

Das Wanderbuch ist die Grundausstattung
Sie legten sich ein Wanderbuch zu, um sich über den Weg und die Erlebnisse auf dem Weg täglich persönliche Notizen zu machen. Früher war das Wanderbuch, neben zunftinternen Papieren, gleich zu setzen mit einem behördlich ausgestellten Passierschein. Inzwischen ist ein Wanderbuch ein von der europäischen Wandergesellen-Dachorganisation, herausgegebenes Dokument, nach Art eines Reisepasses. Hierin finden Arbeitszeugnisse, Stempel der Übernachtungshäuser oder Siegel der durchreisten Städte ihren Platz. Um ein Stadtsiegel zu erhalten musste man beim Bürgermeister auf zünftige Weise einen Wanderspruch vortragen. Dann war es üblich,dass der Geselle ein Zehrgeld für die Weiterreise, oder Hilfe bei der Arbeitssuche vor Ort erhielt.
Das Buch war somit das wichtigste Dokument des Gesellen und sein unersetzliches Erinnerungsstück an die Wanderjahre.


Beginn der Wanderschaft: 07. 05 1957
Ein Freund bringt Franz Runge und Manfred Pohl mit dem Motorrad zum Bahnhof nach Rheine. Von hier fahren sie mit dem Zug bis zu ihrem Startort Köln.
Mit Genehmigung der Familie folgen Auszüge aus dem persönlichen Wanderbuch.

Am 07.05.1957 Ankunft in Köln. Anmeldung im Kolpinghaus und Suche nach Arbeit. Wir haben keine klassische Wandergesellen-Bekleidung getragen. Nur einen naturgewachsenen Stab, den Stenz, haben wir mitgeführt. 08. 05. Erster Arbeitstag in Köln-Sülz. Ich wohnte im Kolpinghaus Breitestraße 108. Das Essen musste ich mir selbst besorgen. Abends nach dem Essen waren oft Versammlungen oder ich machte mit mehreren Kollegen zusammen einen Bummel durch die Stadt Köln. Die Kölner sind zum größten Teil freundlich, können aber auch sehr schnell anders werden. 16. und 17. Juni musste ich mit noch ein paar anderen Kollegen in Köln im Kolpinghaus den Mädchen beim Essen auftragen helfen. Wir bekamen dazu eine weiße Jacke an und dann mussten wir das Geschirr auf die Tische tragen und wieder abräumen. 16. Juni war die Jugend-Bekenntnisfeier im Dom. Die uns allen gut gefallen hat. Am 17. Juni nachmittags war die Kolpingfamilie von Recke im Kolpinghaus zu Gast. Am 20. Juni habe ich drei kleine Scheibenkäse eingekauft für 70 Pfennige in Köln.

Manfred Pohl mit seinem Wanderstab
Wanderroute von Halverde bis nach Lindau am Bodensee

Am 23 Juni haben wir mit dem ganzen Kolpinghaus aus Köln eine Dampferfahrt über den Rhein nach Unkel gemacht. Mit dem größten Dampfer vom Rhein „Kaiser-Wilhelm“. Am 27 Juni haben wir beide morgens um 09.30 Uhr Köln verlassen sind zuerst ein kurzes Stück mit der Straßenbahn gefahren und dann gelaufen. Wir trafen unterwegs einen älteren Herrn der ist ein Stück mit uns gegangen, gab uns noch ein gekochtes Ei zum Essen. Mittags waren wir in Kerpen. Das ist der Geburtsort von Adolf Kolping. Für das Mittagessen haben wir ein paar Stunden in einem Garten gearbeitet. Dann haben wir das Geburtshaus von Kolping besichtigt. Am anderen Morgen, den 28.06., sind wir dann mit einem Herrn, der auch in dem Haus geschlafen hat, mit dem Auto über Euskirchen bis Rheinbach gefahren. Dann sind wir durch eine schöne Gegend gelaufen über Todenfeld,Hilchenrath, Kalenbirn bis Altenahr. Es waren ungefähr 20 km. Hier waren wir im Ahrtal. Haben dort übernachtet und beim Senior (der Vorsitzende eines Kolping Vereines) zu Abend gegessen. Der Senior sagte, dass vor zwei Jahren dort der letzte Wanderer übernachtet hätte. Am anderen Morgen, den 29.06. Zum Fest St. Peter und Paul waren wir in Altena zuerst in der heiligen Messe. Dann sind wir „getippelt“ über die Eifel durch Brück, Hönningen Dümpelfeld, Leimbach bis Adenau. Dort sind wir zum Präses gegangen wegen der Übernachtung. Aber es war kein Platz mehr frei für uns. Es war nämlich am folgenden Tag ein großes Autorennen auf dem Nürburgring. So haben wir uns dann schnell eine Hütte gebaut auf einer Wiese. Auf dem Heu haben wir dort dann geschlafen. Am folgenden Tag, am Sonntag, haben wir uns dann das Rennen auf dem Nürburgring angesehen. Gegen Abend um 19.00 Uhr sind wir dann wieder los marschiert über Berge und durch Täler. Wir kamen nach Breitscheid, Quiddelbach, Mühlenbach, Zermühlen, Ulmen und Büchel bis Cochem. Die Ortschaften waren alle recht klein. Die Häuser lagen in den Ortschaften alle dicht zusammen. Dazwischen stand eine kleine Kirche und fast in jedem Dorf war noch ein alter Brunnen. In der Nacht sind wir 35 km gelaufen. Die letzten 10 km bis Cochem sind wir im Bus gefahren. In Cochem an der Mosel war noch ein Weinfest. Haben dort in einem Jugendheim übernachtet. Hier habe ich mich das letzte Mal rasiert.

Von Cochem sind wir mit dem Zug durch einen langen Tunnel bis Bullay gefahren. Haben dort noch in der Mosel gebadet. Abends gab uns der Senior ein Bund Stroh und wir haben dann unter der Kirche in einem kleinen Saal geschlafen. Am 30.07. sind wir dann ein Stück aus Bullay gelaufen und dann mit einem Auto bis Trier gefahren. Sind dann wieder ein Stück zurück gelaufen bis nach Schwaigh. Dort wurden wir sehr höflich aufgenommen. Der Senior und noch ein paar Kollegen von ihm sind mit uns gegangen zum Quartier. Haben dort sehr gut gegessen und Bier getrunken. Übernachtet haben wir oben in der Mühle in einem sehr sauberen Zimmer. Von Schweigh sind wir mit Anhalter gefahren bis Koblenz. Von Koblenz sind wir wieder gelaufen. Konnten aber bis abends keine Kolpingfamilie antreffen und so mussten wir nachts wieder draußen schlafen. Am anderen Morgen sind wir gelaufen bis Rhens. Dort war eine Kolpingsfamilie und wir haben dort auch übernachtet in einem großen Hotel. Dann sind wir am anderen Morgen wieder gelaufen bis Boppard. Dort war ein Kolpinghaus. Es war am Samstag, den 06.07. Im Kolpinghaus sind wir gut verpflegt worden auch am Sonntag. Boppard ist eine von vielen Fremden besuchte Stadt. Sie liegt direkt am Rhein. 08.07. Ankunft in Mainz. Gegen Abend kamen wir in Mainz an. Unterwegs haben wir noch den Loreley-Felsen gesehen. Im Kolpinghaus in Mainz wurden wir sehr freundlich aufgenommen obschon wir beide kein Geld hatten. Die ersten Tage in Mainz waren saure Tage. Keine Arbeit kein Geld kein Brot. Am 10.07. haben wir dann Arbeit bekommen und am 11.07 konnten wir dann mit der Arbeit anfangen. Die Hausangestellten im Kolpinghaus waren sehr freundlich. Man hat uns dort Vorschuss gegeben zum Essen. Am 15.07 nahmen wir an der Versammlung teil. Wir wurden vom Senior freundlich begrüßt. Der Altsenior hielt einen Vortrag über Atom.

Die beiden Freunde, Manfred Pohl und Franz Runge, auf dem Bett sitzend in einem Gesellenhaus

Am 20.07 war unser letzter Arbeitstag bei der Firma Georg Bott Schreinerei in Mainz-Kostheim. Am 22.07. morgens um 09.00 Uhr haben wir Mainz verlassen. Sind bis nachmittags um 17.00 Uhr am Rhein entlang gelaufen. An der einen Seite hatten wir den Rhein und an der anderen Seite die schönen hohen Weinberge. Das letzte Stück sind wir mit einem Möbelwagen gefahren bis Worms. Dort haben wir in der Jugendherberge übernachtet. Haben noch eben den Dom zu Worms besichtigt.

Am anderen Morgen um 07.00 Uhr Worms verlassen. Hatten an dem Tag sehr viel Glück. Die Autos hielten von selbst an. Wir sind dann gefahren bis Mannheim. Von da aus über die Autobahn bis Baden-Baden. Sind dann gelaufen über die Bundesstraße 3 bis Bühl. Dort sind wir zum Senior gegangen. Haben bei ihm noch viel Pflaumen gegessen und anschließend dort in einem Hotel übernachtet. Bühl ist eine Kreisstadt. Es wächst dort viel Obst, besonders Pflaumen.

Am anderen Morgen um 07.00 Uhr wiederum Bühl verlassen und sind dann 30 km gelaufen durch eine Obst reiche Gegend bis Offenburg. Dort sind wir zum Präses gegangen. Er hat uns dann in so ein Heim hereingeführt zum Übernachten. Die Hausdamen haben uns dann auf dem Boden mit ein paar Keilkissen ein Lager zubereitet zum Schlafen. Sind ganz gut damit fertig geworden. Unterwegs von Bühl nach Offenburg hatte noch ein Schweizer Wagen angehalten und uns eine Tafel Schokolade geschenkt. Am 25.07. ging unser Marsch weiter nach Haslach. Die Damen aus dem Heim aus Offenburg gaben uns noch ein Stück Brot und zwei Stückchen Speck mit als Marschverpflegung. Gegen Abend waren wir dann in Haslach im Kinzigtal und waren 28 km gelaufen. Unterwegs sind wir dann noch mit einem Bauern und einem Wagen, der von selbst angehalten hatte, ein Stück mitgefahren. Haslach ist eine kleine aber schöne Stadt (Kurort). Dort haben wir in einem Hotel zur Sonne übernachtet. Nach dem kostenlosen Abendessen ist noch der Senior mit uns rausgegangen und hat uns Haslach von oben, vom Berg aus, gezeigt. Dann sind wir am anderen Morgen wieder marschiert durch wunderbare Täler und schwarze Wälder bis St. Georgen. Wir hatten 38 km gelaufen. Unterwegs kamen wir an vielen Sägewerken und Holzschnitzereien vorbei. Ja sogar an einem Draht- und Stahlwerk aus Osnabrück sind wir vorbeigekommen. In St. Georgen haben wir wieder in einem Hotel übernachtet. Nach dem Essen (kostenlos) haben wir uns noch mit dem Senior und noch mehreren Kolpingsöhnen aus St. Georgen gemütlich bei einem Glas Bier unterhalten. Als wir am anderen Morgen aufstanden, war das Wetter gerade nicht schön. Es regnete in Strömen. Wir sind aber so zwischen den Schauern bis Willingen gelaufen. In Willingen hielt ein Wagen an, mit dem wir dann bis Bad Dürrheim gefahren sind. Dort aber wurden wir nicht aufgenommen. Man wies uns überall ab. Da war unsere Stimmung sehr niedergeschlagen und dazu noch immer der Regen und die Kleider waren nass. So sind wir dann in einen Zug gestiegen und sind gefahren bis Radolfzell am Bodensee. Dort war ein Kolpinghaus und wir wurden dort freundlich empfangen. Am Sonntag waren wir auch noch in Radolfzell.

Das Kolpinghaus in Kerpen

Montags früh, den 29.07., sind wir dann am Bodensee entlang gegangen bis Konstanz. Dort war auch ein Kolpinghaus aber dort herrschte kein richtiger Kolpinggeist. Die Wandergesellen wurden dort nicht geschätzt aber die Fremdenje mehr. Es gefiel uns dort deshalb auch nicht. Am Dienstag haben wir uns Konstanz angesehen sind noch über die Grenze gegangen in die Schweiz. Dann sind wir am Mittwoch mit einem großen Dampfer über den Bodensee bis nach Lindau gefahren. Das war eine herrliche Fahrt. Von der einen Seite sieht man die Schweizer Alpen von der anderen Seite die schöne deutsche Küste und nach vorne sah man nichts als Wasser. Der Bodensee hat eine Länge von 60 km und ist an der breitesten Stelle 14 km breit. Von Konstanz bis Lindau muss man über einen Wasserberg von 50 m. In Lindau wohnten wir im Kolpinghaus. 02. August sind wir angefangen zu arbeiten. Ich arbeite bei der Firma Anton Ratzinger. Am 05. August nahmen wir an der Versammlung der Kolpingfamilie teil. Wurden besonders begrüßt. Der Stadtpfarrer hielt einen Vortrag über die Kirchengeschichte.

10. August erschien ein Artikel in der Lindauer Tageszeitung: „Es tauchten in den letzten Tagen zwei junge Leute mit sogenannten Existenzialisten Bärten auf. Wer aber hinter ihnen interessante Ausländer vermutete, wurde enttäuscht. Es waren ganz ruhige westdeutsche Bürger mit „Ferienbart“.

Am 15.08. kam hier in Lindau im Kolpinghaus ein junger Mann, der hatte kein Geld und kein Brot mehr und wollte noch nach Augsburg per Anhalter. Da habe ich ihm noch zu essen gegeben. Wir wohnten in Lindau im Kolpinghaus mit drei Mann auf einer Bude. Hatten dort ein Bad und einen kleinen Kocher, auf dem wurde alles zurecht gekocht. Verpflegt haben wir uns selbst. 02.09. Wieder Versammlung der Kolpingfamilie mit Vortrag vom Präses Thema: „Religion und Staat im Mittelalter“.

09.09. Versammlung: Haben das städtische Museum besichtigt.

14.09 haben wir mit einigen Kolpingsöhnen für die Kolpingfamilie Holz geschnitten.
Hier wird die klassische Gesellenwanderung beendet. Sie findet in einer Rollerfahrt nach Rom seine nicht ganz typische Fortsetzung.


Einmal Rom und zurück mit einem Roller

14.09. Beginn der Romfahrt.

Als Sozius mit dem Roller von Lindau nach Rom und zurück,
Start in Lindau, im Uhrzeigersinn gefahren

Ich traf einen Kollegen mit Namen Adolf und habe mit ihm vereinbart mit seinem Motorrad in Richtung Rom zu fahren. Zuerst sind wir zu seinem Elternhaus im Allgäu gefahren. Haben dort Samstag und Sonntag übernachtet. Die Mutter von Adolf hat mir noch eine Unterhose gegeben zum Anziehen, weil die Fahrt über die Alpen, über den Brenner, sehr kalt werden könnte. Am 16.09. sind wir durch Österreich über Innsbruck und über den Brenner gefahren. Dort war es sehr kalt und es lag viel Schnee. Dann Südtirol bis Bozen. Dort haben wir im Kolpinghaus übernachtet. Die Übernachtung war umsonst. Haben am Abend dann noch mit dem Senior den italienischen Wein gründlich probiert. Am anderen Morgen sind wir gefahren über Triento am Gardasee entlang. Dort war es wunderschön. Die Straße führte direkt am Ufer entlang durch viele Tunnels. Dann über Visenzo, Padura bis Venedig. Dort haben wir auf dem Campingplatz unser Zelt aufgeschlagen. Am anderen Tag, dem 18.09., haben wir uns Venedig angesehen. Venedig ist direkt im Wasser gebaut. Auf Wasserstraßen fahren viele Gondel zur Beförderung von Personen und Ware. Am anderen Tag, den 19.09, sind wir gefahren an der Küste entlang über Ravenna, Rimini und haben kurz nach Senigali wieder unser Zelt aufgeschlagen. Sind dann wieder am anderen Morgen gleich wieder weitergefahren bis Pescara. Haben dort am Abend noch im Meer gebadet. Sind dann am anderen Morgen gefahren quer durchs Land nach Rom

Franz Runge vor dem Petersdom in Rom

Aufenthalt in Rom
So waren wir am Samstagabend den 21.09. in Rom. Haben dort zunächst den Campingplatz aufgesucht und unser Zelt dort aufgeschlagen. Dort haben wir dann noch zwei Kollegen getroffen, die wir auf dem Campingplatz nach Pesaro schon kennengelernt hatten. Haben dann unsere Zelte nebeneinander aufgeschlagen. Am Sonntag haben wir dann zusammen den Petersdom angesehen und oben auf die Peterskuppel gestiegen. Wir aßen in einer Wirtschaft zu Mittag: 3360 Lire für 4 Personen. Abends waren wir noch auf ein Fest im Wald und haben noch mit einem Italiener viel Wein getrunken. Die Italiener sind sehr freundlich. Ein Liter Wein kostet 200 Lire.
Am Montag haben wir dann besichtigt die Grotte unter dem Petersdom, wo die Päpste und Bischöfe begraben liegen. Dann im alten Rom das Kolosseum. Es ist eine alte Arena, wo früher die Christen mit den wilden Tieren hineingetrieben wurden. Es ist ein riesiges Bauwerk. Dann die Kirche Maria Maggiore. Es ist eine wunderbare Kirche. Von vorne ungefähr so gebaut wie der Petersdom. In der Kirche, in einer Seitenkapelle, liegt der Ingnatzius von Loyola begraben. Der Gründer des Jesuitenordens. Dann das große Bauwerk ein Monumento Nazionale a Vittorio Emanuele II, alles aus Marmor. Dann noch Castell Sant`Angelo (die Engelsburg). Ist direkt an dem Fluss Tiber. Am Dienstag, den 24.09. haben wir dann zunächst das Museum im Vatikan besichtigt, mit der Sixtinischen Kapelle. Dann die Katakomben von St. Sebastian mit den alten Gruften von verstorbenen Christen. In dieser Katakombe sollen auch eine Zeitlang die Gebeine von den beiden Heiligen Petrus und Paulus aufgebart sein. Dann haben wir die große Laterankirche besichtigt. Eine wunderbare Kirche. Dort war früher der Papstsitz. In der Nähe der Laterankirche war die heilige Treppe. Auf dieser Treppe soll der göttliche Heiland in seinem Leiden einige Male auf- und abgegangen sein. Anschließend haben wir dann noch den Trevi-Brunnen besichtigt.

Der freie Blick auf den Petersplatz, im Hintergrund die Engelsburg

Zur Rückfahrt gestartet
Dann haben wir am Mittwoch, den 25.09., wieder unsere Zelte abgebrochen und haben Rom verlassen. Sind gefahren am Mittelmeer entlang über Grosseto, Livorno und Pisa. In Pisa haben wir noch kurz den schiefen Turm besichtigt. Dann haben wir kurz noch Viareggio zusammen mit den anderen beiden Kollegen unser Zelt wieder aufgeschlagen. Sind dann am anderen Morgen gleich wieder weitergefahren über Sarzana, haben dann das Mittelmeer verlassen. Dann sind wir gefahren über Parma, Piacenza, Milano, Como, in der Schweiz, am Comer See entlang. Wollten dann kurz nach Como unser Zelt aufschlagen aber es war ziemlich kalt und nass. Es hatte fast den ganzen Tag geregnet. Sonst war das Wetter auf der ganzen Fahrt wunderschön und sehr warm. So trafen wir kurz nach Como. nachdem wir kleine Einkäufe gemacht hatten, einen jungen Mann und fragten den nach einem billigen Nachtquartier. Dieser nahm uns mit zu einer Wirtschaft. Aber die Übernachtung in Betten war uns doch zu teuer und so haben wir bei den Leuten im Holzschuppen geschlafen. Sind dann am anderen Morgen wieder weitergefahren über Lugano (Luganer See) Bellinzona, St. Gotthard Pasa auf einer Höhe von 2000 Metern. War sehr kalt da oben. Dann am Vierwaldstättersee entlang bis Schwyz. Dort mussten wir uns von den anderen beiden Kollegen trennen, weil sie mussten eine andere Richtung fahren. So sind dann Adolf und ich weitergefahren über St. Gallen, Bregenz (Österreich) und kamen dann am späten Abend wieder glücklich in Lindau an. Am 13.10. haben Manfred und ich mit noch zwei anderen Kollegen eine Bergwanderung gemacht über die Alpen. Sind am Samstagabend um 11.30 Uhr los marschiert. Beim Sonnenaufgang waren wir schon auf einer Höhe von 2100 m. Man hatte dort oben eine wunderbare Aussicht. Unter uns das tiefe Tal wo drüber eine dichte Wolkenschicht lag. Wir sind in Österreich aufgestiegen und bei Liechtenstein (Schweiz) wieder abgestiegen.
14.10. Kolpingsversammlung. Ein Lehrer aus Köln hielt einen Lichtbildervortrag: „Quer durch Spanisch-Marokko.
21.10 Kolpingsversammlung: Der Präses Immerz hielt einen Lichtbildervortrag: „Meine Pilgerfahrt nach Lourdes.
Am 17.12. Lindau mit dem Zug in Richtung Heimat verlassen.

Hilde und Franz Runge aus Anlaß ihrer Goldenen Hochzeit
Franz Runge mit deutlich gestutztem Bart

Sein Rauschebart irritierte
Zu Hause angekommen war die Freude beiderseits groß. Seine ältere Schwester hatte ihn wegen seines „ dichten Rauschebartes“ nicht sofort erkannt. Schließlich aber war die Freude doppelt groß. Auch Nachbarn, Freunde und Kollegen musste er sich zu meist erst „vorstellen“. Einen jungen Mann mit einem „Rauschebart“, dass kannte man in Halverde so nicht. Stolz war er darüber, dass er seine 80 Deutsche Mark vom Start, am Ende der Wanderung immer noch in der Tasche hatte.
Während der Wanderzeit hatte er keinen direkten Kontakt zum Elternhaus. Er hatte es bei zwei Ansichtskarten und sehr seltenen Telefonanrufen bei der Gastwirtschaft Tebbe belassen. Hierhin teilte er kurz seinen augenblicklichen Aufenthaltsort und sein Befinden mit. Sonntags nach dem Hochamt ist dann sein Vater in die Gaststätte gegangen und hat nach einem eventuellen Anruf seines Sohnes gefragt. So wussten die Eltern im Groben darüber Bescheid, wie es ihrem Sohn ging. Während der gesamten Zeit war er von jeglicher Krankheit oder Unpässlichkeit verschont geblieben. Heimweh habe er auch nie verspürt.

Kulturelle Bedeutung
Mit­tler­weile ist das Wan­dern der Handw­erks­ge­sellen eher selten anzutreffen und dadurch etwas Außergewöhnliches gewor­den, insbesondere weil es nicht mehr als Bedingung zum Erwerb des Meistertitels nötig ist. Sie wird aber wegen ihrer kulturellen Bedeutung, seit dem Jahre 2015 als imma­terielles Kul­turerbe geführt und wurde in die Liste der UNESCO aufgenom­men.

Franz Runge hat schnell wieder Arbeit aufgenommen und sich fortwährend bis zum Architekten qualifiziert. Schließlich war er verantwortlicher Architekt im Hoch- und Brückenbauunternehmen Schröer-Schütte in Hopsten.

Autor: Josef Brinker
Fotos: Familie Franz Runge,
Bildmontagen: Josef Brinker